Ägyptens General-Direktoren
Hotels, Autofabriken, Bäckereien: Ägyptens Militär kontrolliert ein riesiges Schattenreich aus Firmen, die sich jeder Kontrolle entziehen. Die Generäle blockieren Reformen und lähmen die Wirtschaft. Wenn sich das nicht ändert, wird auch der nächste Präsident keine Chance haben.
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Stefan Schultz
Freitag, 05.07.2013 10:13 Uhr
Hamburg - Auf dem Tahrir-Platz wurde wieder getanzt in dieser Nacht. Hunderttausende waren gekommen, um die Absetzung des Muslimbruders Mohammed Mursi zu feiern, jenes Präsidenten, der noch vor gut einem Jahr ihre Hoffnungen auf ein besseres Leben geweckt hatte. Nun feierten sie den Putsch, die Flagge Ägyptens als Cape um die Schultern geschlungen. Hoch über Kairo malten Jets der Luftwaffe rote und weiße Kondensstreifen, die Farben der Nation, in den Himmel.
Doch die Freude ist trügerisch. Denn Mursi musste abdanken, weil sich die wirtschaftliche Situation der Ägypter unter seiner Regentschaft weiter verschlechterte, obwohl er ihnen ein besseres Leben versprochen hatte. Nun jubeln viele Ägypter dem Militär zu - und damit genau jenen, die mitverantwortlich für die Lähmung des wirtschaftlichen Aufschwungs sind.
Ägyptens Militär unterhält mit 420.000 Soldaten nicht nur die größte Armee der Region; es kontrolliert auch ein weit verzweigtes Schattenreich aus Firmen, die sich weitgehend der zivilen Kontrolle entziehen und die, je nach Schätzung, 8 bis 30 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung Ägyptens ausmachen. Ein dunkles Imperium, das dem Land mehr schadet als nützt.
Granaten und Gartensprinkler
Marschieren und Milliarden scheffeln: Entstanden ist das Konzept im Jahr 1979, als Ägypten mit seinem Nachbarland Israel Frieden schloss. Der damalige Präsident Anwar al-Sadat halbierte das gut eine Million Mann starke Militär. Um die arbeitslosen Soldaten zu beschäftigen, schuf das Militär zivile Betriebe.
Heute finden sich die Manager in Uniform in fast allen Sektoren der ägyptischen Wirtschaft. Die Generäle betreiben Hühnerfarmen, Bäckereien und Konservenfabriken; Müllverbrennungsanlagen und Baukonzerne; Krankenhäuser und Kegelbahnen; ein landesweites Tankstellen-Netz. Und sie verdingen sich als Gesellschafter von 5-Sterne-Hotels: Viele Ferienanlagen auf der Sinai-Halbinsel entstanden auf Armeeparzellen, und sie machten die Armeebosse reich.
REUTERS
Produktionsstätte der Firma Benha: Weitverzweigtes Wirtschaftsreich
Die Fabriken des Militärapparats fertigen nach Angaben des Think -Tanks Federation of American Scientists so gut wie alles: Maschinengewehre, aber auch Scheren und Nähmaschinen; Panzergranaten, aber auch Kosmetik, Unterwäsche und Gartensprinkler. Selbst die Urnen für die Präsidentenwahl 2012, die der nun geputschte Mursi gewann, wurden laut "Handelsblatt" in Militärfabriken hergestellt.
So ist über Jahrzehnte ein Mega-Mischkonzern entstanden, der Hunderttausende Jobs schafft; aber auch unfaire Vorteile gegenüber Privatfirmen genießt. Laut einem
Bericht der "Welt" müssen Wehrpflichtige einige Monate in den Zivilfirmen der Armee abdienen; das beschere den Unternehmen zu jeder Zeit rund 100.000 günstige Arbeitskräfte, schätzt der Ökonom und Nahost-Experte Robert Springborg. Hinzu kämen Liefermonopole und Steuebefreiungen. Ihre Bücher müssen die Firmen niemandem offenlegen.
Verheerende Folgen
Die Folgen sind verheerend. Der zivile Militärapparat paralysiert den Wettbewerb, schreckt ausländische Investoren ab und erschwert die Modernisierung der ägyptischen Wirtschaft und damit den sozialen Aufschwung. Vier von zehn Ägyptern leben noch immer unter der von den Vereinten Nationen festgelegten Armutsgrenze von zwei Dollar pro Tag, auch bessergestellten jungen Menschen fehlt oft eine Karriereperspektive.
Solange die Armee ihr Wirtschaftsimperium ebenso erbittert verteidigt wie einst ihr Land gegen die Perser, ist Ägypten kaum zu helfen. Bislang deutet nichts darauf hin, dass die Armee ihre Business-Interessen hintanstellt. Im Gegenteil: Die Generäle sind über die Jahrzehnte immer besser darin geworden, Machtverluste abzuwehren.
Schon Anfang der neunziger Jahre wollte Verteidigungsminister Jussef Sabri Abu Talib das zivile Unternehmertum der Armee beenden; er wurde geschasst. Sein Nachfolger Mohammed Tantawi baute die Wirtschaftmacht des Militärs über zwei Dekaden hinweg aus. Kein Präsident konnte oder wollte die Militär Inc. je stoppen. Auch Mursi, der erste Präsident ohne militärischen Dienstgrad, wagte dies nicht.
Dass er nun abdanken musste, hat auch ökonomische Gründe. Ein Präsident in Ägypten darf den Profit der Generäle nicht schmälern. Die andauernde Unruhe in dem in fanatische Gegner und Anhänger Mursis gespaltenen Land hat aber genau dies bewirkt: Touristen blieben fern, der Konsum schwächelte, und die Generäle hatten weniger Geld im Portemonnaie.
Die Tänzer vom Tahrir-Platz werden nun einen neuen Präsidenten bekommen. Er wird es ebenso schwer haben, Ägyptens Wirtschaft zu reformieren, wie der gescheiterte Mohammed Mursi.
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/aegypten-militaer-als-wirtschaftsmacht-a-909393.html